Wednesday, January 04, 2006

Interview with Cecilia II

I found this entire interview so fascinating, so charming that I have attempted to translate the entire thing. Forgive me If I have missed something. My translations are not of United Nations quality, so I leave in the original in case I got it wrong.


Interview: Christine Lemke-Matwey, Berlin Tagesspiegel

Eine Hotellobby, die überall auf der Welt sein könnte. Ein Ober naht. Cecilia Bartoli bestellt einen Cappuccino.
[A hotel lobby, that could be anywhere in the world. A waiter comes and Cecilia Bartoli orders a cappuccino.]

Frau Bartoli, Ihr jüngstes CD-Cover zeigt Sie plantschend im Trevi-Brunnen wie einst Anita Ekberg. Haben Sie Sehnsucht nach großem Kino? [Frau Bartoli, your latest cd cover shows you splashing in the Trevi Fountain, like Anita Ekberg once did. Do you long for the great cinema?]

Ich glaube, es ist ziemlich deutlich, dass ich nicht Anita Ekberg bin. Erstens: die schwarzen Haare. Zweitens bin ich mindestens einen Meter kürzer als sie! Ekberg aber, und wie Fellini sie in „La dolce vita“ inszeniert hat, das ist für mich der Inbegriff von barocker Sinnlichkeit. Diese Frau ist eine Bernini-Figur, sie verkörpert die ganze Schönheit Roms. Ich wollte mit diesem Foto ein Zeichen setzen. Der Brunnen, das sprudelnde Wasser, diese Lebensfreude, die alle gesellschaftlichen Fesseln sprengt: Musik ist stark. Und wird es bleiben.
[I think that it’s clear that I’m not Anita Ekberg. First, the black hair. Second, I am at least one meter shorter than she. (I exclaim: Nein. Dass kann nicht!) Ekberg, however, and as Fellini staged her in “La dolce vita”, is for me a sign of Baroque sensibilities. This woman has a Bernini figure, she embodies the whole beauty of Rome. I wanted with this picture to set a sign. The fountain that spouts water, this love of life, that breaks all the social boundaries: Music is strong and will stay strong.

Was macht die Musik stark?
[What makes music so strong?]

Wissen Sie, ich konzertiere oft ohne Dirigenten. Ich stehe dann vorne, habe das Orchester hinter mir. Das heißt: Jeder einzelne Musiker ist verantwortlich, jeder Einzelne muss hören, schauen, fühlen, zählen, atmen. Gemeinsam atmen, ja, das trifft es vielleicht am besten. Musik ist nichts für Autisten. Musik ist Gespräch, Austausch, Kommunikation. In der Musik bist du nie allein oder einsam oder nackt, das macht sie und uns stark.
[You know, I often concertize without a conductor. I stand in front and have the orchestra behind me. That means every single musician is answerable, every one must hear, show, feel, count, breathe. Breathe together, yes, then everything goes for the best. Music is not for people with autism (?), Music is speech, exchange, communication. In the music you are never alone or lonely or naked. That makes it and us strong.] [BB editorial comment. Wow. This is heavy stuff.]


Haben Sie je mit dem Gedanken gespielt, professionell zu dirigieren?[Have you ever played with the idea of professional conducting?]

Nein, mein Instrument ist die Stimme. Außerdem genieße ich das Gefühl, dass die Musiker buchstäblich meinen Rücken „lesen“. Das ist sehr erotisch.
[No, my instrument is the voice. Outside of that I enjoy the feeling that the musicians can read my back. This is very erotic.]

Zu wem sprechen Sie, wenn Sie singen?
[To whom do you speak when you sing?]

Zum Konzertmeister, mit dem Publikum, dem Komponisten, mit dem lieben Gott, zu mir selbst – das kommt darauf an.
[To the concertmaster, with the public, the composer, with the dear God, to myself—it comes to that.]

Und wie fallen die Antworten aus?
[And how do the answers come?]

Nun, der liebe Gott ist eher schweigsam, ich selbst bin sehr kritisch – und ansonsten gibt es gute und nicht so gute Abende. Noten übrigens sprechen auch.
[Now the dear God is usually silent, I myself am very critical – and generally there are good and not so good evenings. The notes also speak.]

Sie sind bekannt dafür, dass Sie tagelang in Bibliotheken sitzen und sich durch Handschriften wühlen.
[You are known for, that you sit for days at a time in libraries and write things out.]


Der Ober serviert den Cappuccino. Cecilia Bartoli wirft einen kurzen Blick darauf.
[The waiter comes and serves the cappuccino. Cecilia Bartoli throws a short glance there.]

Kennen Sie die Geschichte von Pauline Viardot, der Sängerin, die in Paris ihre gesamten Juwelen versetzte, um das Autograf von Mozarts „Don Giovanni“ zu erstehen? Stellen Sie sich vor, eine Frau, im 19. Jahrhundert!
[Do you know the story of Pauline Viardot, the singer, who in Paris sold all her jewelry to have an autograph score of Don Giovanni? Imagine a woman of the nineteenth century!]

Was würden Sie für eine Mozart-Handschrift geben?
[What would you give for a Mozart autograph?

Von Mozart gibt es heute leider so gut wie nichts mehr zu kaufen. Aber ich besitze Noten und Briefe anderer Komponisten. Ich finde Originale einfach faszinierend! Als ich mit Simon Rattle vor zwei Jahren für die Salzburger Osterfestspiele die Fiordiligi in Mozarts „Così fan tutte“ gesungen habe, habe ich vorher das Autograf in der Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden studiert …
[Of Mozart today there is unfortunately almost nothing to buy. However I own scores and letters of other composers. I find original scores simply fascinating. When I sang Fiordiligi in Mozart’s Cosi fan Tutte with Simon Rattle two years ago in the Salzburg Easter festival, I studied the autograph score beforehand in the Berlin State library Under den Linden.

… die Staatsbibliothek besitzt die größte Mozart- Sammlung weltweit, wussten Sie das?
[Did you know the State Library owns the largest Mozart collection in the world?]

Nicht Wien? Nicht Salzburg oder Prag? Nein, das wusste ich nicht, aber vielleicht war es deshalb so aufregend, unter all diesen Kostbarkeiten zu sitzen! In einer Handschrift zu lesen, ist, als begegnete man der Seele des Komponisten. Und was Mozart betrifft: Einerseits hat er unerhört klar und sauber geschrieben, andererseits bleibt immer ein Rest, ein Spielraum. Man ist sich bei ihm nie hundertprozentig sicher. Das Autograf lässt einen zwischen den Zeilen lesen, es bietet Nuancen, Schattierungen, auch Flüchtigkeiten und Fehler, die eine moderne Ausgabe nicht berücksichtigen kann und darf. Da steht alles schwarz auf weiß.
[Not Vienna? Not Salzburg or Prague? No, I didn’t know that, but perhaps that’s why it’s so exciting to sit under all these treasures. To read a hand-written score, is as if one met the composer’s soul. And when it comes to Mozart, on one side he has written outrageously clearly and cleanly, and on the other side there is always a space left. By him one is never 100 percent certain. The score leaves room to read between the lines, it begs for nuances, shadows, vapors and feelings, that a modern edition cannot and may not see. There everything stands in black and white.

Hätten Sie ohne diese Einblicke eine andere Fiordiligi gesungen?
[Without this insight, would you have sung another Fiordiligi?]

Sagen wir so: Es gab für mich ein paar wichtige Fragezeichen mehr. Mein Bild von der Figur war nicht mehr so fest gefügt. Die ganze „Così“ stellt ja Fragen: Wer lügt und wer sagt wann die Wahrheit? Wer liebt wen und wer betrügt wen warum?
[We’ll say this: There were for me a few important questions left. My picture of the role was not anymore so certain. The whole Cosi poses a question: who lies and who says the truth? Who loves whom and who reprimands whom and why?

… die Oper handelt, kurz gesagt, von einer Liebesprobe, einem Partnertausch …
[The opera, briefly, is about a love test, a partner exchange….]

Ich finde das Stück absolut grausam – und sehr menschlich, sehr aktuell. Es ist die Kulturgeschichte unseres Fühlens in einem ästhetischen Brennglas. Am Ende gibt es keine Hoffnung, keine Vision. Alle sind betrogen. Sie haben mit dem Feuer gespielt und wollen nur noch sterben. Mozart aber richtet nicht, er zeigt, wie es ist.
[I find the piece absolutely cruel—and very human, very real. It is a cultural history of our feelings in an aesthetic burning-glass (?). At the end there is no hope, no vision. All are betrayed. They have played with fire and only want to die. Mozart fixes nothing, he shows it as it is.]

Viele, die heute keine Kinder bekommen, sagen, dass ihnen ein verlässlicher Partner fehlt. Sie haben in „Così fan tutte“ alle Frauenrollen gesungen, auch Despina, die Zofe, und Dorabella. Glauben Sie noch an die Liebe, glaubt Mozart daran?
[Many who today have no children say that they are missing a reliable partner. You have played all the parts in Cosi, also Despina and Dorabella. Do you think Mozart still believed in love?]

Das hoffe ich doch sehr, für uns beide! Aber Mozart, pardon, ist nicht an unserem Kindermangel schuld. Er ist nie destruktiv. Das Geheimnis seiner Musik besteht darin, dass sie in jedem Augenblick komplett ist. Sie zeigt uns die Euphorie und die Verzweiflung. Sie sagt, das Glück der Liebe ist ohne Schmerzen nicht zu haben. Diese Musik ist so ergreifend, für mich einzigartig.
[I very much hope so, for us both! Pardon me, but Mozart is not responsible for how we mangle our children. He is never distructive. The secret of his music is that in each moment it is complete. It shows us the euphoria and the doubt. It says that the luck of love cannot be had without pain. This music is so moving, for me uniquely.]

Mozart als Mythos?
[Mozart as myth?]

Nun ja, da gibt es diese Geschichten um seinen Tod. Dass es Constanze gewesen sein soll, seine Frau, die in Wien als Erste das Gerücht verbreitete, er sei vergiftet worden. Dass Salieri seine Finger mit im Spiel gehabt habe. Heute wissen wir, das ist alles blanker Unsinn.
[Yes. There are these stories about his death. That it was Constanze, his wife, that first in Vienna spread the rumor that he was poisoned. That Salieri had his finger in the event. Today we know that this is all pure nonsense.]

Man hat 1984 herausgefunden, dass Mozart an einer Streptokokken-Infektion gestorben ist, verbunden mit Nierenversagen, Bluthochdruck, einem Schlaganfall durch Gehirnblutung und einer Lungenentzündung. Das reicht für mehrere Tode.
[In 1984 we found out that Mozart died of a streptococcus infection, together with kidney, bloodpressure, bleeding in the brain and pneumonia. That is enough for several deaths.

Er hat ja auch mehrere Leben geführt! Aber das mit dem Legendenhaften, Mythischen ist nicht so einfach. Salieri war kein Neider und Nichtskönner und Constanze nicht dumm und raffgierig. Sie hat beispielsweise äußerst tatkräftig dafür gesorgt, dass Mozarts Nachlass nicht in alle Winde zerstreut wurde, die hervorragende Quellenlage haben wir also ihr zu verdanken, bis heute.
[He has also led several lives. However the myth is not so simple. Salieri was not an envious person, and Constanze wasn’t stupid. For example, she energetically made sure that Mozart’s legacy wasn’t spread to the winds, the outstanding condition of the source materials is thanks to her. ]

Mochten Sie den „Amadeus“-Film?
[Do you like the movie Amadeus?]

Salieri ist mir hinterher viel sympathischer gewesen als Mozart! Tom Hulce …
[Salieri was after that much more sympathetic for me than Mozart! Tom Hulce..]

… der Darsteller des Mozart …
[The actor who played Mozart]

… hat einen Verrückten gespielt, okay. Aber F. Murray Abraham’s Salieri war ein echter Charakter. Schade, dass der Film damals nicht zu einer Renaissance der Musik geführt hat. Salieri ist ein außerordentlich interessanter, wichtiger Komponist im Wien des 18. Jahrhunderts. Wer ihn kennt, versteht Mozart viel besser.
[played him as crazy. F. Murray Abraham’s Salieri was a truer character. It’s a shame that the movie didn’t lead to a musical Renaissance. Salieri is an extraordinarily interesting, important composer in Vienna of the eighteenth century. Those who know him, understand Mozart much better.]

Wie schwer ist es, Mozart zu singen?
[How hard is it to sing Mozart?]

Es heißt ja, Mozart sei etwas für Kinder und für Weise. Technisch ist seine Musik nicht wirklich schwer, da gibt es andere, die haben sehr viel mehr schwarze Noten produziert. Aber emotional ist er ungeheuer anspruchsvoll! Mozart trifft mich oft so tief, er lässt mich so unmittelbar begreifen, dass ich versucht bin, die Kontrolle über mein Singen zu verlieren. Mozart ist richtig gefährlich. Wobei ich das Emotionale vom Virtuosen niemals trennen würde. Das habe ich als Sängerin gelernt: Je perfekter ich mein Instrument beherrsche, technisch, desto freier bin ich, desto höher und weiter kann ich fliegen. Nur wenn ich in der Lage bin, all das, was ich jahrelang geübt habe, zu vergessen, mein ganzes mühsam erworbenes Handwerk, nur dann kann ich im entscheidenden Moment auch loslassen. Das gilt für die Musik, das gilt fürs Leben.
[Yes. Mozart is somewhat for children and for the wise. Technically his music is not really difficult. There are others who have produced a lot more black notes. But emotionally he is tremendously deep. Mozart often affects me so deeply, leaves me so moved that I have to work hard to keep my singing under control. Mozart is truly dangerous. I can never separate the emotions and the virtuosity. I have learned this as a singer: the more perfectly I train my instrument, technically, the freer I am and the higher and further I can fly. Only when I am in the situation where everything that I have practiced all year long can be forgotten, my whole laborious handwork, only then can I in the right moment let go. That goes for the music, for life.]

Singen Sie 2006 eigentlich nur Mozart?
[Are you singing only Mozart in 2006?]

Um Himmels willen! Nach den vielen Mozartkugeln und den Mozartschinken und dem Mozartbier und was es noch alles gibt, wird es unserer kollektiven Mozart-Leber Ende des Jahres sehr schlecht gehen. Das Problem mit der Kommerzialisierung ist ja, dass sie selten der Musik wirklich nutzt. Man will Mozart verkaufen. Und das gilt auch für die Kunst. Wenn die Salzburger Festspiele nächsten Sommer alle 22 Mozart-Opern aufs Programm setzen, dann ist das eine enzyklopädische Leistung. Über die künstlerische Qualität der einzelnen Aufführungen aber sagt das nichts, und eigentlich geht es in Salzburg doch um Qualität …
[For heaven’s sake! After many Mozartkugeln (round chocolate candies) and Mozart ham and Mozart beer and everything else, our collective Mozart life at the year’s end will go very badly. The problem with commercialization is that it seldom really uses the music. One wants to sell Mozart. And that goes also for art. When the Salzburg festival next summer puts all 22 Mozart operas on the schedule, that will be an encyclopedic achievement. About the artistic quality of each single production, that says nothing, and really, in Salzburg it’s about quality. ]

Ich glaube, Ihr Cappuccino wird langsam kalt.
[I think your cappuccino is getting cold.]

Cecilia Bartoli lässt sich nicht beirren.
[She didn’t drink it.]


… also ich halte von Massenaufläufen dieser Art ziemlich wenig. Außerdem feiern wir 300 Jahre Händel in Rom nächstes Jahr. Auch kein schlechter Komponist, glauben Sie mir. Und Robert Schumann wird 150 Jahre tot sein.
[I don’t think much of mass offerings of art. Next year we are celebrating 300 years of Handel in Rome. Also not a bad composer, believe me. And Robert Schumann will be dead 150 years.

Die Italiener können, wie man weiß, mit Mozart nicht so viel anfangen. Schmerzt Sie das?
[The Italians, as we know, don’t make much of Mozart. Does this hurt you?]

Ein bisschen schon. Ich selbst bin mit Rossini und Bellini aufgewachsen, mit dem klassischen Belcanto-Repertoire also. Meine Eltern waren beide Opernsänger, ich kann diese Vorliebe für das ausufernde Gefühl, die große Geste, das Espressivo sehr gut verstehen. Das ist gewissermaßen meine Muttermilch. Und dann habe ich viel Barockmusik gesungen. Wissen Sie, wer mich zu Mozart verführt hat? Daniel Barenboim. Der kam und sagte: Cecilia, du hast die Stimme und den Charakter für Mozart, bitte tu’s, setz dich hin und lerne, ich werde dir helfen. Und ich hab’s getan. Da war ich immerhin schon 20!
[A little. I grew up with Rossini and Bellini, with the classical bel canto repertoire. My parents were both opera singers, I can understand this preference for the big gesture, for the espressivo. It is in a certain sense my mother’s milk. And then I have sung a lot of Baroque music. Do you know who led me to Mozart? Daniel Barenboim. He came and said: Cecilia, you have the voice and the character for Mozart. Please do it, sit down and learn, I will help you. And I did it. Then I was only twenty.]

Vielleicht liegt es daran, dass man in Italien Mozart für einen deutschen Komponisten hält, während die Deutschen in ihm gerne den Italiener sehen. [Perhaps Italians hold Mozart to be a German composer, while the Germans see in him an Italian.]

Und wissen Sie was: Er ist keins von beidem. Das ist das Faszinierende, vielleicht auch das Verwirrende. Mozart war Europäer, wie vor ihm Händel, wie überhaupt sehr viele Barockkomponisten.
[Do you know what: He is not either one. That is the fascinating, perhaps also the confusing thing. Mozart was a European, as before him Handel, like many Baroque composers.]

Heißt das, den Italienern ist das Europäische fremd? In England, in Frankreich, in Holland, in Deutschland ist gerade die Barockmusik heute irrsinnig populär. Nur in Italien nicht.
[Does that mean that for Italians the European is strange? In England, in France, in Holland, in Germany is Baroque music extremely popular. Only not in Italy.]

Ich denke, Italien hat gerade so viele so ernste Schwierigkeiten, nicht nur mit Europa, da steht die Barockmusik nicht an erster Stelle, also wirklich nicht. Natürlich bin ich manchmal traurig, dass so wenige die Musik eines Vivaldi, eines Monteverdi kennen. Trotzdem: Italien ist und bleibt „la patria della musica“!
[I think Italy has now so many, so serious difficulties, not only with Europe, that Baroque music doesn’t take first place there, really not. Naturally, I am a little sad that so few know the music of Vivaldi, of Monteverdi. In spite of that, Italy is and remains la patria della musica. (the homeland of music.)]

Selbst wenn Berlusconis Finanzminister Giulio Tremonti gerade 40 Prozent des staatlichen Kulturetats streichen will und viele Theater und Opernhäuser sich akut von der Schließung bedroht sehen?
[If Berlusconi’s finance minister G.T. cuts 40 percent of the state culture subsidy, will many theaters and opera houses be forced to close?]

Was erwarten wir von der Gesellschaft? Zu Hause kommt heutzutage kaum ein Kind noch mit Musik in Berührung, in den Schulen findet kein vernünftiger Unterricht mehr statt. Wie können wir dann davon ausgehen, dass sich irgendjemand mit 20 oder 25 plötzlich für Musik interessiert? Und warum sind wir so entsetzt, wenn keiner mehr da ist und die Politik alles kaputtspart? Musik ist eine Sprache, die auf sehr direkte Weise zu den Menschen spricht. Musik greift Menschen ans Herz, anders und tiefer als Geografie oder Geschichte oder Mathematik. Ich finde es grausam, einem Kind ausgerechnet diese Sprache vorzuenthalten. Es geht darum, Angebote zu machen, und zwar frühzeitig.
[What do we expect from business? At home today scarcely a child comes into contact with music, in the schools there is no longer any serious study. How can we say that at 20 or 25 suddenly someone will have an interest in music? And why are we so angry if no one is there and everything goes kaput? Music is a language that by very direct means speaks to people. Music touches people in the heart differently and more deeply than geography or history or mathematics. I find it cruel to keep especially this language from a child.  It's necessary to make requests, and as soon as possible.]

Können Sie sich vorstellen, dass Sie sich in dieser Frage eines Tages politisch engagieren?
[Can you imagine yourself someday engaging in politics over these questions?]

Ich denke, dazu bräuchte es ein anderes gesellschaftspolitisches Klima. Nicht wir Künstler müssen von der existenziellen Wichtigkeit der Musik überzeugt sein, sondern die Politiker. Ein Finanz- oder Wirtschaftsminister, den Musik nie berührt hat, wird sich nie dafür stark machen. Da können Sie als Bittstellerin so berühmt sein, wie Sie wollen. Und ich bin in Italien nicht berühmt.
[I think it needs another political climate. We artists don’t need to be certain of the importance of music, but the politicians do.  A Finance or Economics Minister, whom the music has never touched, will never be strong for it. Because you as petitioner can be as famous as you want. In Italy I am not famous.]


Cecilia Bartoli lupft vorsichtig die Milchschaumhaube ihres Cappuccinos.
[She carefully lifts the foam from her cappuccino.]


Ihr jüngstes Album nennt sich „Opera proibita“, verbotene Opern. Das meint die römische Prohibition im 18. Jahrhundert. Gibt es etwas, das in der heutigen Kunst verboten ist oder verboten sein sollte?
[Your most recent album is called “Opera proibita,” forbidden opera. That refers to the Roman prohibition in the seventeenth century. Is there something in today’s art that is forbidden or should be forbidden?]

Aus dem Bauch heraus sage ich jetzt sofort: nein, natürlich nicht. Schließlich leben wir in einer Zeit des Anything Goes. Aber schlechte Qualität gehört eigentlich immer verboten. Andererseits gibt es sehr wohl eine Verbindung zwischen Prohibition und Kreativität. Das klingt jetzt vielleicht paradox, aber in Zeiten der Unterdrückung, der Diktatur, der Repression wird dem Künstler oft mehr Erfindungsgeist abverlangt als in Zeiten der Freiheit.
[From my guts I say immediately: no, naturally not. Finally we live in a time when anything goes. However, bad quality should always be forbidden. On the other side there is a connection between prohibition and creativity. That sounds like a paradox, but in times of repression, the dictator, the repression often calls for more creative spirit than in times of freedom.]

Es geht uns zu gut für wirklich große Kunst?
[It’s going too well for us to have truly great art?]

Ach, das klingt mir jetzt zu weltanschaulich. Die Prohibition in Rom zum Beispiel hatte auch eine heitere Seite. Man stelle sich vor: Der Vatikan verbietet die Oper aus Gründen der Sittlichkeit, und es sind kunstsinnige Kardinäle wie Ottoboni, die auf der Musik beharren. Was tun sie? Sie lassen Händel, Scarlatti und Caldara allegorische Libretti und biblische Texte vertonen, schon sind sie aus dem Schneider. Das Ganze heißt jetzt zwar nicht mehr Oper, aber die Musik selbst ist kaum weniger dramatisch, leidenschaftlich und sinnlich. Die perfekte Verpackung. Ganz modern.
[Ach! That sounds to me too universal-world-viewish. (?) The prohibition in Rome, for example, had also a cheerful side. Imagine: the Vatican forbade opera for reasons of morality, and it was artistic cardinals like Ottoboni, that wanted music. What did they do? They let Handel, Scarlatti, and Caldara compose allegorical libretti and biblical texts, that have already been censored. The result was not anymore opera, but the music itself is scarcely less dramatic, less passionate and sensitive. The perfect packaging. Completely modern.]

Frauen auf der Bühne waren damals auch verboten.
[Women were also forbidden on the stage at that time.]

Deshalb bin ich ja so froh, dass ich im 21. Jahrhundert lebe!
[That’s why I’m so glad that I live in the twenty-first century.]

… das sich auch in Phänomenen wie Anna Netrebko spiegelt. Wählen Sie: Würden Sie lieber Netrebkos Stimme haben wollen oder ihre Beine?
[...this is also reflected in a phenomenon like Anna Netrebko. Choose: would you rather have Netrebko's voice or her legs?]

Oh, das kann man doch nicht trennen! Anna ist der lebendige Beweis dafür, dass der liebe Gott, wenn er in Stimmung ist, unerhört schöne Frauen erschaffen kann. Wobei die Schönheit für den Gesang immer wichtig war, das ist keine Erfindung unserer Zeit und keine Frage eines bloß oberflächlich guten Aussehens. Kennen Sie Anna Moffo? Sie wurde in den 60er Jahren zu einer der zehn schönsten Frauen Italiens gewählt und war eine großartige Sängerin. Haben Sie je von der Sopranistin Lina Cavalieri gehört, Anfang des 20. Jahrhunderts? Atemberaubend! Natürlich wird weibliche Schönheit heute permanent missbraucht, in der Werbung, in den Medien. Da finde ich es letztlich viel ehrlicher, Musik zu vermarkten als Waschmaschinen.
[Oh, one cannot separate them! Anna is the living proof that the dear God, when he is in the mood, can create unimaginably beautiful women. That beauty is important for singing is not the discovery of our time, and not a question only of superficially good appearance. Do you know Anna Moffo? She was in the sixties voted one of the 10 most beautiful Italian women, and was a wonderful singer. Have you ever heard of the soprano Lina Cavalieri? At the beginning of the twentieth century? Breathtaking! Naturally today female beauty is misused in advertising and the media. I think it is more honorable to market music that way than washing machines.]

Wen würden Sie im Himmel noch gerne treffen?
[Who would you like to meet in heaven?]

Ich glaube, bei mir läuft es eher auf die Hölle hinaus … Ich hoffe jedenfalls, ich werde in guter Gesellschaft sein, lauter arme Seelen, die viel zu lachen haben – und die wissen, was ein echter Cappuccino ist. Wenig starker Espresso, viel geschäumte Milch. Und: Es darf sich nicht mischen. Auf den Kontrast kommt es an. Wie in der Musik.
[I think, I am more likely destined for hell. I hope in any case, I will be in good company, poor souls that have a lot to laugh about—and know what a real cappuccino is. Less strong espresso, more foamed milk. And they should not be mixed. It is the contrast that makes it work. Like in music.]

2 comments:

Ilaria said...

Thanks so much for translating this! She is such a hoot (and so articulate). :D

Dr.B said...

This has to be one of the most spectacular interviews of a singer I've ever read.